Wie kann eine flächendeckende urologische Versorgung auch in Zukunft sichergestellt werden?
Im Interview mit dem BvDU zeigt Mira Faßbach, aktives Mitglied der German Society of Residents in Urology e. V. (GeSRU) und ehemalige Sprecherin des Bündnis Junge Ärztinnen und Ärzte (BJÄ) Herausforderungen für junge Urologinnen und Urologen sowie entsprechende Lösungsansätze auf.
Welche Maßnahmen sind aus Ihrer Sicht am wirkungsvollsten, um dem in der Medizin jüngst diskutierten Ärztemangel entgegenzuwirken?
Es handelt sich aktuell um einen relativen Ärztemangel, der in der Urologie weniger als in anderen Fachgebieten spürbar ist, da die Urologie als fachärztliche Ausrichtung als attraktiv empfunden wird. In den Landesärztekammern waren im Jahr 2021 insgesamt 1,7 % mehr berufstätige Ärztinnen und Ärzte als im Vorjahr gemeldet. Trotzdem werden mehr Köpfe nötig werden, um urologische Versorgung zu gewährleisten.
Gründe liegen in der absehbaren Überalterung sowohl der Ärztinnen und Ärzte als auch in dem zunehmenden Behandlungsbedarf durch die steigenden Behandlungszahlen durch immer älter werdende Patientinnen und Patienten. Die Erwartungen an die Arbeitsbedingungen junger, aber auch älterer Ärztinnen und Ärzte, ändern sich. Viele wollen ihr privates Leben nicht mehr vollständig dem beruflichen unterordnen. Eltern wünschen, ihr Familienleben mit ihrem beruflichen Leben vereinbaren zu können. Ältere wünschen gegen Ende ihres beruflichen Lebens, ihre Arbeitszeit gegebenenfalls zu reduzieren. Ziel muss also sein, individuelle Arbeitszeitmodelle zu ermöglichen, um viele Kolleginnen und Kollegen in Arbeit zu halten und so auch von generationsübergreifendem Austausch profitieren zu können.
Weiter ist eine kritische Debatte darüber zu forcieren, was ärztliche Tätigkeiten sind und wie Ärztinnen und Ärzte von arztfremden Tätigkeiten entlastet werden können. Ärztinnen und Ärzte sind in einem zunehmenden Ausmaß mit Verwaltungsarbeit, wie der Anforderung von externen Befunden oder mit Abrechnungsstrategien, beschäftigt. Die dort eingesetzte Zeit fehlt in der direkten Krankenversorgung. Derartige Aufgaben sollten häufiger als bisher von anderen Berufsgruppen wie medizinischen Fachangestellten oder Codierfachkräften übernommen werden.
Sinnvolle Strukturen müssen zur Entlastung etabliert werden. Die Digitalisierung muss vorangetrieben werden. In Kliniken heißt das: flächendeckend anwenderfreundliche KrankenhausInformationsSysteme bzw. Praxisverwaltungssysteme mit Schnittstellen in den anderen Sektor, aber auch mit ausreichend ITSupport und gut besetzten Sekretariaten, um den erforderlichen Dokumentations und Verwaltungsaufwand zu bewältigen.
So bliebe mehr Zeit für den direkten Patientenkontakt und die abrechnungstechnisch unzureichend abgebildete „Sprechende Medizin“.
Was kann dafür getan werden, dass die Urologie für junge Medizinerinnen und Mediziner attraktiv ist und bleibt? Seitens Politik, Klinik und Praxen?
Im Hinblick auf das Fach Urologie sollte dieses stärker im Studium vertreten sein. Dies gelänge beispielsweise durch Aufnahme als feste chirurgische Rotation im praktischen Jahr. Bereits in frühen klinischen Studienabschnitten können Studierende durch eine spannende urologische Vorlesung oder durch Blockpraktika auf das tolle und vielfältige Fach Urologie aufmerksam gemacht werden.
Wie in aktuellen Befragungen unter Urologinnen sowie unter Ärztinnen und Ärzten in Weiterbildung für Urologie gezeigt werden konnte, besteht in der Urologie eine hohe Zufriedenheit mit der Wahl des Fachgebietes. Die große Vielfalt in der Urologie begeistert, also sowohl die Möglichkeiten, diagnostisch, chirurgisch oder konservativ tätig zu werden, als auch die große Bandbreite an Patientinnen und Patienten: von Kindern bis ins hohe Alter; von metabolischen über infektiologischen zu onkologischen Genesen. Wir sollten uns alle bemühen, diese Begeisterung im Kontakt mit Studierenden oder auch in der öffentlichen Diskussion überschwappen zu lassen.
Was sind die dringendsten Herausforderungen, vor denen junge Urologinnen und Urologen stehen? Was sind mögliche Lösungen? Welche Beteiligten und was braucht es hierfür?
Ein Teil der Herausforderungen, vor denen alle Medizinerinnen und Mediziner stehen, haben wir oben bereits angesprochen. Ein weiteres dringendes Problemfeld ist die zunehmende Kommerzialisierung der Medizin. Unsere Aufgabe ist es, die Entscheidung über die beste Therapie und Behandlungsmöglichkeit unabhängig von wirtschaftlichen Aspekten zu treffen. Hier kommen wir als Angestellte in Kliniken oder Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) aber auch als Selbstständige im Rahmen von Budgetierung viel zu oft in Rollen und Gewissenskonflikte.
Im stationären Alltag müssen Abrechnungsziffern oder Liegezeiten bedacht werden und Ärztinnen und Ärzte müssen dazu beitragen, die jeweiligen Quartalszahlen zu optimieren. Im Einzelnen sind hier die leitenden Ärzte und Weiterbildenden gefragt, die jungen Ärztinnen und Ärzte darüber hinaus fachlich und berufsethisch zu begleiten.
Unterstützung sollten Urologinnen und Urologen in Weiterbildung auch verstärkt von den Kassenärztlichen Vereinigungen erhalten. Bisherige Angebote zielen eher auf „bereits Niederlassungswillige“ ab. Es fehlen Anreize, Informationen und Qualifizierungen für Ärztinnen und Ärzte in fachärztlicher Weiterbildung. Da mehr als die Hälfte unseres Faches ambulant stattfindet und diese fachärztliche Grund und Spezialversorgung auch in Zukunft gewährleistet sein muss, sollten wir in der Urologie ein frühes Förderprogramm einfordern – vergleichbar mit dem der Allgemeinmedizin, (Weiterbildungsnetzwerke, Qualitätszirkel, MentoringProgramme und auch NiederlassungsSeminare und Workshops).
Von Netzwerkstrukturen zwischen Kliniken und Praxen können alle profitieren. Sie können darüber hinaus den Einstieg in die Praxis für junge Ärztinnen und Ärzten erleichtern. Sei es die eigene Niederlassung oder die Praxisrotation innerhalb der Weiterbildungszeit.
Dank dem Weiterbildungscurriculum Urologie (WECU), das als gemeinsames Projekt von DGU, BvDU und GeSRU entwickelt wurde und einen mindestens 6monatigen ambulanten Weiterbildungsabschnitt vorsieht, hat die ambulante Weiterbildung nun einen festen Stellenwert in der urologischen Weiterbildung. Viele Inhalte des Faches, z. B. große Teile der uroonkologischen Nachsorge und der Andrologie finden vorwiegend in der ambulanten urologischen Versorgung statt. Somit ist die Praxiserfahrung elementar für junge Ärztinnen und Ärzte, um alle erforderlichen Kenntnisse inner halb der Weiterbildungszeit zu erlangen.
Die Anträge und bürokratischen Vorbereitungen für die Rotation sollten für alle Beteiligten unkompliziert und transparent sein, insbesondere was z. B. die hierzu erforderliche Weiterbildungsermächtigung für niedergelassene Urologinnen und Urologen betrifft.
Im Bereich der Hochschulpolitik ist es erforderlich, dass sich die Unterrichts und Lehrbeauftragten ihrer Verantwortung bewusst sind. Zudem sollten Kliniken, stationäre Rehabilitationseinrichtungen, Praxen oder ambulante Einrichtungen junge Ärztinnen und Ärzte, verstärkt für Famulaturen anwerben. Bei der GeSRU finden junge Ärztinnen und Ärzte unterschiedlichste Angebote und können z. B. im Rahmen eines Mentoring Programmes auf erfahrene ärztliche Ansprechpersonen zurückgreifen. Zudem haben Medizinstudierende auch die Möglichkeit, bereits im Studium an interessanten Kongressen und Seminaren teilzunehmen.
Weiterhin bietet die GeSRU Angebote, wie Workshops und Lernvideos, ist präsent in Social Media mit aktuellen Themen und Veranstaltungen und betreut die Studierenden, zum Beispiel auf dem DGUKongress. Wir wollen jungen Ärztinnen und Ärzten ein kostenloses, niedrigschwelliges Angebot zur Verfügung stellen, um optimal vorbereitet in den Berufsalltag zu starten, aber auch um früh den Nachwuchs für das Fach Urologie dauerhaft zu begeistern. Zudem sehen wir uns als Interessensvertretung der jungen Urologinnen und Urologen. Dabei stehen wir in engem Austausch mit dem Berufsverband und der Fachgesellschaft.
Warum sollten sich gerade junge Ärztinnen und Ärzte berufspolitisch engagieren? Wie kann ihr Interesse geweckt werden?
Für mich ist es sehr wichtig, mich berufspolitisch zu engagieren. Nur so kann ich selbst Dinge ändern. Für mich wäre es zu wenig, über Missstände unter Kolleginnen und Kolleginnen zu sprechen. Ich möchte selbst etwas dafür tun, dass sich die Arbeitsbedingungen ändern.
Als junge Ärztin ist es mir hierbei ein Anliegen, in berufspolitischen Gremien mitzuwirken, da deren Entscheidungen uns als Folgegeneration direkt betreffen.
Wir als GeSRU wollen bei Herausforderungen, vor denen wir als Ärzteschaft gemeinsam stehen, mögliche Wege aufzeigen, wie diese gelöst werden können. Dies kann in Debatten erreicht werden, aber auch, indem wir positive Beispiele nach außen tragen: „Wie geht eine Praxisübernahme“, „Wie klappt der Jobeinstieg am besten“ oder „Welche Arbeitsmodelle und Weiterbildungsstrukturen funktionieren gut?“ und „Wo gibt es gute Angebote“. Ganz im Sinne von „Es gibt schon viel Gutes. Reden wir darüber“.