EU-Me­­di­zin­p­ro­duk­te­ver­ord­nung: Nach­bes­se­rung not­wen­dig

Gezeigt wird ein Abschnitt vom Infusionsständer mit angehängter Infusion

Andernfalls drohen Defizite bei der Versorgung mit wichtigen Medizinprodukten sowie eine Schwächung des Wirtschafts- und Gesundheitsstandorts.

Die EU-Medizinprodukteverordnung (MDR) ist seit Mai 2021 für Hersteller von Medizinprodukten verbindlich. Sie hat zu hohen Hürden bei der Marktzulassung medizinischer Produkte geführt. Auch, wenn der neue Rechtsrahmen richtige und wichtige Ziele verfolgt: In der Praxis stellt er die Unternehmen vor große Herausforderungen.

Kein Bestandsschutz für etablierte Produkte

So bietet die MDR etwa keinen Bestandsschutz für bereits auf dem Markt befindliche Medizinprodukte. Das bedeutet, dass auch Produkte, die bereits seit Jahren auf dem Markt sind und sich in der Versorgung bewährt haben, nach den neuen Anforderungen zertifiziert werden müssen – und zwar bis spätestens Mai 2024. Dieser Zeitplan ist aber nicht einzuhalten – allein schon aus Mangel an für die Genehmigung zuständigen Stellen.

„Die Kommission sollte mit ihrem Treffen ein klares Zeichen setzen, konkrete Lösungen aufzeigen und die Probleme nicht nur aufschieben“, fordert die DIHK. „Dazu gehört unter anderem eine Überarbeitung der bestehenden Übergangsbestimmungen, um allen Akteuren mehr Zeit zur Auflösung der bestehenden Engpässe zu verschaffen. Denkbar wären hier nach Risikoklassen gestaffelte Fristen.“ Um die unnötige Vernichtung bereits produzierter sicherer Medizinprodukte zu verhindern, sei zudem die Abschaffung der Frist zum Abverkauf notwendig, über den Mai 2025 hinaus Und es braucht Sonderregelungen für Nischenprodukte, wie es das für Arzneimittel, sogenannte Orphan Drugs, schon lange auf EU-Ebene gibt. Und schließlich sind pragmatischere Bewertungsansätze für bewährte Bestandsprodukte notwendig.

Engpassfaktor „Benannte Stellen“

Zudem würden Lösungen insbesondere für kleinere Unternehmen gebraucht, die trotz großer Bemühungen keine der sogenannten „Benannten Stellen“ fänden, also der Instanzen, die den Prozess der Konformitätsbewertung von Medizinprodukten kontrollieren. Die Politik muss neben der wichtigen Sicherung des Patientenwohls den Erhalt der Wettbewerbs- und Innovationskraft der mittelständischen Industrie stärker in den Blick nehmen. Gerade für Start-ups sowie kleinere und mittlere Unternehmen, beispielsweise im Bereich der digitalen Gesundheitswirtschaft, erschweren die Regelungen den Marktzugang wesentlich, so dass erhebliche Innovationshemmnisse bestehen.

Es sind nicht nur erheblich mehr Medizinprodukte auf eine Bewertung durch eine Benannte Stelle angewiesen. Die Zertifizierungen mit Verfahrensdauern von 12 bis 24 Monaten sind zudem deutlich umfangreicher als zuvor. Aufgrund von Kapazitätsproblemen bekämen viele Betriebe auf absehbare Zeit auch keine Terminzusagen für Produktprüfungen oder fänden überhaupt keine Benannte Stelle für ihre Produkte, gibt der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer zu bedenken – das gelte für lang bewährte Produkte ebenso für innovative Neuzulassungen.

Mehrkosten, Mehraufwand und Umsetzungsprobleme

Unternehmen sind mit deutlich mehr Bürokratie und erheblichen Kostensteigerungen konfrontiert, die insbesondere die Entwicklung und Vermarktung von Nischenprodukten oft unrentabel machen. Zudem machen die zusätzlichen Belastungen gerade den vielen kleinen und mittleren Betrieben mit begrenzten personellen und finanziellen Ressourcen zu schaffen. Hinzu kommen praktische Probleme: Für die Überführung von Bestandsprodukten in die MDR fehlen vielfach Ärzte für erforderliche klinische Prüfungen, andernorts verhindern Negativ-Bescheide der Ethik-Kommission diese Prüfungen.

Konkrete Beispiele aus der Praxis

Es besteht die Gefahr von Produktionseinstellungen unter anderem für diverse chirurgische Instrumente, Elektroden, Katheter, Endoskope, Implantate sowie Röntgentische, Sitz- und Aufstehbetten oder Elektrostimulationsgeräte. Weiter sollen Zubehör und Ersatzteile für Geräte der Hochfrequenz-Chirurgie vom Markt genommen werden mit der Folge, dass diese Geräte nicht mehr repariert werden können, wenn die entsprechenden Zubehörteile fehlen.

Für viele Produkte, die infolge der MDR vom Markt verschwinden, gibt es nach Angaben der Hersteller keine Alternativen. Insbesondere Produkte in der Pädiatrie beziehungsweise Kinderheilkunde (30 Prozent der Unternehmen sehen hier keine Alternativprodukte), medizinische Hilfsmittel (28 Prozent), Produkte der Urologie (21 Prozent), der Orthopädie, Traumatologie, Rehabilitation und Rheumatologie (20 Prozent) und der Geburtshilfe/Gynäkologie (19 Prozent) wurden genannt. Betroffen sind aber auch die Kinderchirurgie (15 Prozent) und die Kardiologie (10 Prozent).

Sterile Pipetten: Zehnfacher Aufwand

Am Beispiel steriler Pipetten lässt sich das Problem praxisnah veranschaulichen: Der Hersteller vertreibt das einfache Produkt zur Einmalverwendung seit 20 Jahren erfolgreich und millionenfach auf dem Markt – nach eigenen Angaben ohne Rückruf und Qualitätsmängel. Für die technische Dokumentation reichte bislang ein Aktenordner. Mit Einführung der MDR ändert sich am Produkt selbst nichts, allerdings sind für die Dokumentation nun zehn Aktenordner notwendig. Das Produkt ist zwar gut im Markt etabliert, würden aber alle Anforderungen der MDR entsprechend erfüllt, würde sich der Aufwand verzehnfachen.

Innovationen liegen auf Eis

Fast jeder zweite Betrieb hat zudem Innovationsprojekte gestoppt – im Bereich der Pädiatrie sind es sogar mehr als zwei Drittel der Unternehmen. Ein Fünftel der Unternehmen weicht bei der Erstzulassung ihrer medizintechnischen Innovationen auf andere Märkte wie etwa die USA oder Asien aus. Dies hat auch negative Auswirkungen auf die klinische Forschung und Entwicklung in Europa, da in der Folge klinische Datenerhebungen und Studien ebenfalls in die Länder der Erstzulassung verlagert werden.

Quellen: DIHK, Ärztenachrichtendienst änd