BvDU-Grußwort zum 71. DGU-Kongress in Hamburg

Leinwandübertragung vom Präsidenten Schroeder am Podium

Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Damen und Herren,

es ist mir eine besondere Ehre und Freude als Präsident des Berufsverbands der Deutschen Urologen den 71. Deutschen Urologenkongress in Hamburg mit eröffnen zu dürfen. Ich begrüße Sie hier alle recht herzlich!

Ein wissenschaftlicher Kongress steht nicht im virtuellen Raum. Lehre, Weiterbildung und Forschung sind immer in einem gesellschaftlichen Kontext zu sehen. Mit dem Motto „Mensch – Maschine – Medizin – Wirtschaft“ hat unser Tagungspräsident den Kongress mit einem interessanten Spannungsbogen versehen. Auf den ersten Blick ist die Botschaft sicher provokant. Gleichzeitig ist sie aber hochaktuell. Und ich möchte ganz deutlich vor der deutschen Urologenschaft sagen, längst überfällig!

Seit Jahren debattieren wir auf Kongressen und anderen Veranstaltungen diese großen Herausforderungen – bitte nehmen Sie es mir jetzt nicht übel – erreicht haben wir damit bisher wenig. Nicht nur reden, sondern handeln muss unsere Devise sein! Ein Motto und ein paar Pressemitteilungen machen noch keine Politik.

Zu viele Widersprüche im Gesundheitssystem

Vielleicht war die Zeit einfach noch nicht reif dafür. Inzwischen ist sie es aber. Und die Medien springen mit auf den Zug und versuchen, mit gefühlten Wahrheiten Politik und Gesellschaft zu beeinflussen. Langsam aber sicher ändert sich das Bewusstsein. Die neue Generation von Ärztinnen und Ärzten nehmen die Widersprüche in unserem Gesundheitssystem nicht mehr einfach so hin. Viele von uns sagen: „So kann und darf es nicht mehr weitergehen!“

Der Mensch steht in der Medizin wieder im Vordergrund – oder zumindest sollte er das. Als Patient, als Arzt und in der Pflege. Und das, in einer Gesellschaft die hoch technologisiert ist und vielerlei ökonomischen Zwängen unterliegt.

Mensch – Maschine – Medizin – Wirtschaft – ein Widerspruch? Nein, das muss es nicht sein!

Arzt hat Recht auf freie Berufsausübung

Der Arzt hat in unserer Gesellschaft schon immer einen besonderen Status mit besonderen Verpflichtungen. Aber er hat auch das Recht der freien Berufsausübung. Das Arzt- Patientenverhältnis, ist bewusst ein unabhängiges Verhältnis. Schon seit der Antike. Alle Gesellschaften haben dem Heiler, dem Arzt bewusst diesen Status gegeben.

Im Mittelpunkt unserer Arbeit sollte der Patient und nicht die Diagnose oder die Krankheit stehen. Wir benötigen einen Paradigmenwechsel, besonders in den stationären Fallpauschalen.

Damit bin ich jetzt bei der Wirtschaft und der Maschine angelangt. Bei Maschine denke ich nicht nur an Roboter. Dazu gehören auch Digitalisierung und Künstliche Intelligenz.

Wir müssen steuern, nicht die Systeme uns!

Technischer Fortschritt in Diagnostik und Therapie sowie Innovationen im Arzneimittelbereich haben zu einer deutlichen Lebensverlängerung in den Industrienationen geführt. Auch schonende Operationen und kürzere Verweildauern sind hier zu nennen. Solange Maschinen, Digitalisierung und Künstliche Intelligenz dem Menschen dienen, ihn unterstützen und der Mensch die Oberhand behält, ist das zu begrüßen. In einer automatisierten, prozessoptimierten Behandlung haben wir als Ärzte für unsere Patienten und Mitarbeiter nämlich eine besondere Verantwortung: Wir müssen steuern, sonst werden wir von den Systemen gesteuert.

Budgetierung führt zu ökonomischen Fehlanreizen

Wirtschaftlich zu arbeiten, mit Ressourcen verantwortlich umzugehen, ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Auch für uns Ärzte. Ich sage aber auch für die Bürger und Patienten. Das war schon immer so! Die Selbstbedienungsmentalität in unserer Gesellschaft sehen wir leider zunehmend auch in der Medizin. Deshalb ist ein Wirtschaftlichkeitsgebot per se nicht verwerflich, sondern eine Verpflichtung für alle. Wir geben an die 400 Milliarden für die Gesundheit in Deutschland aus. Tendenz steigend. Das muss auch weiterhin über die Sozialbeiträge und Steuern zu leisten sein.

Medizin wirtschaftlich zu erbringen, heißt aber auch angemessene Honorare zu erhalten. Als Berufsverband stehen wir neben den politischen Interessen von Urologinnen und Urologen in Klinik und Praxis auch für deren wirtschaftliche Bedingungen ein.

Und die stimmen schon lange nicht mehr. Eine Leistungs- und Ausgabenbegrenzung in der Medizin ist vom Bedarf abhängig und benötigt eine langfristige Planung. Mit der Budgetierung im ambulanten und Fallpauschalen im stationären Bereich sind wir jedoch an die Grenzen des machbaren und zu ökonomischen Fehlanreizen gekommen. In den Facharztpraxen haben wir Wartezeiten und Terminnot, im hausärztlichen Bereich herrschen Unterversorgung und Überforderung.

Versorgungsinteresse vor Kapitalinteresse

Eine fehlende Investitionsbereitschaft der Länder im Klinikbereich hat eine fatale Entwicklung zur Folge, die ich einmal „Durch-Ökonomisierung“ nennen möchte. Nicht der Patient steht im Vordergrund, sondern die Diagnose, die Therapie! Kein Land hat das DRG-System so perfide vorangetrieben, wie wir in Deutschland.

Ein Gespenst geht aber durch ganz Europa: Die Kommerzialisierung durch private Krankenhausbetreiber und privaten Investoren von Kliniken und Praxen. Bisher kann ich davon aber nichts im großen Stil erkennen. Fest steht allerdings: Solange die Investitionsbereitschaft der öffentlichen Hand unzureichend ist, wird sich der internationale Kapitalmarkt in dieser Renditegrube bedienen. Wenn Transparenz, Qualität sowie Arbeitsbedingungen stimmen und der Versorgungsauftrag erfüllt wird, ist dagegen nichts einzuwenden. Gefordert sind klare Regulatorien: die ärztliche Professionalität, die Ethik und die Ökonomie.

Deshalb halte ich den „Ärzte-Appell“ aus dem Stern vom Anfang September auch für tendenziös. Gefühlte Wahrheiten sollen hier mal wieder die Politik beeinflussen. Wenn Shareholder Value die Maxime ist, läuft grundsätzlich etwas falsch. Ärzte und Pflegekräfte müssen künftig mehr Einfluss, Kontrolle und Selbstbestimmung in der stationären Versorgung haben. Der Ökonom im Krankenhaus ist wichtig. Er kann aber nicht der maßgebliche Entscheider über alles oder nichts in der stationären Versorgung sein.

Sind wir Ärzte ohne gesunde Grenzen?

Nicht zuletzt möchte ich noch ein Thema ansprechen, dass uns als Verband ganz besonders am Herzen liegt: die Gesundheit von uns Ärzten. Sie ist eng mit den aktuellen berufspolitischen und standespolitischen Debatten verbunden.

Ärzte führen häufig ein Leben, von dem sie ihren Patienten dringend abraten. Ständig unter Druck, Warnsignale missachtend, Grenzen überschreitend. Das Patientenwohl steht im Selbstverständnis an allererster Stelle. Aber auch Ärzte dürfen krank werden. Sie scheuen sich jedoch, Schwäche zu zeigen.

Wir als Berufsverband möchten unsere Kolleginnen und Kollegen dazu ermutigen, offener über ihre körperlichen Grenzen zu sprechen. Wir müssen uns kritisch mit unserem ärztlichen Selbstbild vom stets belastbaren, sich unermüdlich kümmernden und eigene Bedürfnisse verleugnenden Helfer auseinandersetzen.

Deshalb stellen wir unser alljährliches BvDU-Berufspolitisches Forum auf dem Kongress auch unter das Leitthema „Arbeitskultur in der Urologie: Sind wir Ärzte ohne gesunde Grenzen?“.

Ich fasse noch einmal die wichtigsten Forderungen zusammen:

  • Das Ziel unserer Arbeit ist die Freiberuflichkeit in Klinik und Praxis.
  • Die Normen unseres medizinischen Handelns müssen ökonomische Grundlagen berücksichtigen.
  • Ärzte bestimmen in der Medizin und nicht nur die Kaufleute.
  • DRG‘s schaffen falsche Anreize und müssen reformiert werden.
  • Die Devise muss lauten „ambulant vor stationär“.
  • Wir benötigen eine ausreichende und nachhaltige Personalausstattung im stationären Bereich, insbesondere in der Pflege.
  • Wir wollen einen einheitlichen neuen ambulanten Sektor für Kliniken und Vertragsärzte im § 115 schaffen – als Antwort auf die Bund-Länderkommission
  • Der ambulante Leistungskatalog muss novelliert werden, wenn die ASV scheitert.
  • Das Patientenwohl sollte im Fokus stehen und nicht ökonomische Ziele – das ist die Grundlage unserer ärztlichen Ethik.
  • Wir wünschen uns eine bessere Selbstfürsorge bei Ärzten – mit anderen Worten: „Bleiben Sie gesund!“

Damit möchte ich heute schließen.

Lieber Prof. Hakenberg, wir haben als BvDU gerne in der PK mitgearbeitet und beteiligen uns aktiv am Kongress. So wünsche ich Ihnen und dem gesamten Kongress-Team ein gutes Gelingen für diese 71. Jahrestagung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, Ihnen wünsche ich vielfältige Erkenntnisse, einen inspirierenden Austausch und interessanten Aufenthalt im schönen Hamburg.

Ihr

Axel Schroeder