Anstehende Reformvorhaben des Bundesministeriums für Gesundheit in 2024 – Ein Überblick

Eine Hand hält die Buchstaben "info"

Versorgungsstärkungsgesetze I und II

Für das erste Versorgungsstärkungsgesetz soll es einen Neustart geben. Darin sollen unter anderem Gesundheitskioske und Gesundheitsregionen/Primärversorgungszentren geregelt werden. Um Gesundheitskioske als Regelversorgung im Gesundheitswesen zu etablieren, soll für gesetzlich Versicherte ein Rechtsanspruch auf Gesundheitskiosk-Leistungen ins Sozialgesetzbuch (SGB) V eingeführt werden.

Außerdem soll es einfacher werden, kommunale MVZ zu gründen. Zusätzlich soll der neue Entwurf um Regelungen für investorengetragene MVZ erweitert werden.

Die Entbudgetierung der Hausärzte soll ebenfalls mit dem Versorgungsgesetz I über die Bühne gehen.

Mit dem zweiten Versorgungsgesetz will das BMG nach eigener Auskunft die ambulante psychotherapeutische Versorgung verbessern und einen Direktzugang zu Heilmittelerbringern einrichten.

BvDU-Position

Noch ist wenig über die konkrete Ausgestaltung bekannt. Im Rahmen des ersten Versorgungsgesetzes soll unter anderem die Entbudgetierung für Hausärzte in die Umsetzung gelangen. Der BvDU begrüßt eine starke Hausärzteschaft und fordert eine ebenso starke Fachärzteschaft. Der Berufsverband fordert die Entbudgetierung von Leistungen für alle Fachärzte und die Diskussion der Änderung der Quartalspauschalen in Jahrespauschalen auch über Hausärztinnen und Hausärzte hinweg. Nur im Zusammenspiel der hausärztlichen mit der ambulanten fachärztlichen kann die Versorgung einer alternden Gesellschaft der Patientinnen und Patienten in Zukunft aufrecht erhalten werden.

Der geplante Aufbau von Gesundheitskiosken entlastet Ärztinnen und Ärzte und medizinisches Fachpersonal in der angedachten Umsetzung nicht. Der Aufbau von Parallelstrukturen entzieht im Gegenteil einem grundsätzlich funktionierenden bestehenden System Mittel, die dort bereits seit Jahrzehnten notleiden. Eine Verstärkung von Sozialarbeit wäre in den Bereichen, in denen Gesundheitskioske entstehen sollen, erfolgsversprechender und würde auf bestehenden, grundsätzlich funktionierenden, Strukturen aufbauen.


Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens – Digital-Gesetz (DigiG)

Zielsetzung

Das Digital-Gesetz soll den Behandlungsalltag für Ärztinnen und Ärzte sowie für Patientinnen und Patienten mit digitalen Lösungen vereinfachen. Zentraler Bestandteil des Gesetzes ist die Einrichtung der elektronischen Patientenakte (ePA) für alle. Sie wird den Austausch und die Nutzung von Gesundheitsdaten vorantreiben und die Versorgung gezielt unterstützen. Zudem wird das E-Rezept als verbindlicher Standard eingerichtet.

Wichtigste Inhalte

  • Die elektronische Patientenakte (ePA) wird Anfang des Jahres 2025 für alle gesetzlich Versicherten eingerichtet werden. Wer die ePA nicht nutzen möchte, kann dem widersprechen (Opt-Out). Für privat Versicherte können die Unternehmen der PKV ebenfalls eine widerspruchsbasierte ePA anbieten. Mit der ePA erhalten die Versicherten eine vollständige, weitestgehend automatisch erstellte, digitale Medikationsübersicht. In enger Verknüpfung mit dem weiterentwickelten E-Rezept sollen ungewollte Wechselwirkungen von Arzneimitteln vermieden und Ärztinnen und Ärzte im Behandlungsprozess unterstützt werden.
  • Das E-Rezept wird weiterentwickelt, als verbindlicher Standard in der Arzneimittelversorgung etabliert und ein weiterer Zugangsweg per ePA-App eröffnet.
  • Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) werden tiefer in die Versorgungsprozesse integriert und ihr Einsatz transparent gemacht. Mit der Ausweitung der DiGA auf digitale Medizinprodukte der Risikoklasse IIb werden sie auch für komplexere Behandlungsprozesse – z. B. für das Telemonitoring – genutzt werden können.
  • Damit die Telemedizin fester Bestandteil der Gesundheitsversorgung wird, werden die Mengenbegrenzungen aufgehoben. Mit der assistierten Telemedizin wird außerdem ein niedrigschwelliger Zugang zur Versorgung geschaffen. Die Erbringung telemedizinischer Leistungen durch Einrichtungen wie Hochschulambulanzen oder Psychiatrische Institutsambulanzen sowie psychotherapeutische Sprechstunden wird ermöglicht.
  • Ein Digitalbeirat soll bei der gematik angesiedelt werden, der unter anderem mit Vertretern des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) und des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Bei der weiteren Besetzung des Digitalbeirats sind insbesondere ethische und medizinische Perspektiven zu berücksichtigen. Der Digitalbeirat soll künftig die gematik laufend bei all ihren Festlegungen mit ausgewogenen Empfehlungen zu Fragen des Datenschutzes, der Datensicherheit, der Datennutzung und der Anwenderfreundlichkeit beraten.

BvDU- Position

Die Digitalisierung ist wichtig und richtig, die Ausgestaltung lässt aus BvDU-Sicht jedoch nach wie vor zu wünschen übrig. Das BMG schafft im Rahmen der Digitalisierung maximale Verunsicherung.

Die zur Verfügung gestellten digitalen Leistungen sind im aktuellen Zustand ein Zeitkiller für Kliniken und Praxen, da sie viel zu viel Zeit in Anspruch nehmen statt im Gegenteil Zeit zu sparen, die für die Behandlung von Patientinnen und Patienten zur Verfügung stehen könnte.

Lösungen, die am grünen Tisch ohne die Beteiligung praktisch tätiger Ärztinnen und Ärzte erdacht werden, können in der Umsetzung nicht praktikabel sein. Wie gehabt, werden die Echt-Tests auf dem Rücken der Ärztinnen und Ärzte in Klink und Praxis ausgetragen.

Die ePA bietet aufgrund des Widerspruchsrecht von Patientinnen und Patienten eine nur begrenzte Transparenz, zum Beispiel, wenn ein Patient nicht sein Einverständnis erteilt, dass Erkrankungen, wie z. B. eine HIV-Erkrankung, in die Akte gelangen.

Auch die Honorierung der Leistungen lässt aus Sicht des Berufsverbands zu wünschen übrig. Beispielsweise ist die Vergütung für Ärzte für die Erstbefüllung einer E-Akte, die weiterhin bei zehn Euro bleiben soll, in keiner Weise adäquat vor dem Hintergrund des Aufwandes.


Gesundheitssicherstellungsgesetz

Zielsetzung

Mit einem Gesundheitssicherstellungsgesetz soll vor allem eine effiziente und dezentrale Versorgung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten gewährleistet werden. Im Rahmen eines Gesetzes zur Lebendorganspende soll die Möglichkeit der Lebendnierenspende ausgeweitet werden. Mit dem Medizinregistergesetz soll der Aufbau einer dezentralen Forschungsdateninfrastruktur vorangetrieben werden, die u. a. bei der Überprüfung von Behandlungsverfahren und der Erforschung neuer Therapien unterstützen soll.

Zudem soll mithilfe von Medizinregistern künftig möglich sein, Daten von Patient*innen, Organspender*innen, Ereignissen (z. B. Epidemien) oder Medizinprodukten standardisiert zu speichern und auszuwerten.

Wichtigste Inhalte

Sind im Detail noch nicht bekannt.


Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG)

Zielsetzung

Mit dem GDNG sollen Gesundheitsdaten für die Forschung erschlossen werden. Kern des Gesetzes ist die erleichterte Nutzbarkeit von Gesundheitsdaten für gemeinwohlorientierte Zwecke.

Dazu wird unter anderem eine dezentrale Gesundheitsdateninfrastruktur mit einer zentralen Datenzugangs- und Koordinierungsstelle für die Nutzung von Gesundheitsdaten aufgebaut.

Wichtigste Inhalte

  • Eine zentrale Datenzugangs- und Koordinierungsstelle für die Nutzung von Gesundheitsdaten wird bürokratische Hürden abbauen und den Zugang zu Forschungsdaten erleichtern.
  • Hier werden erstmalig Gesundheitsdaten aus verschiedenen Datenquellen zu Forschungszwecken miteinander verknüpft werden können. Die Zugangsstelle soll als zentrale Anlaufstelle für Datennutzende fungieren. Die Datenhaltung erfolgt weiterhin dezentral, indem die Daten am bisherigen Ort gespeichert bleiben und lediglich spezifisch für den jeweiligen Forschungsantrag in einer sicheren Verarbeitungsumgebung zugänglich gemacht werden.
  • Die federführende Datenschutzaufsicht für länderübergreifende Forschungsvorhaben wird auf alle Gesundheitsdaten ausgeweitet. Die datenschutzrechtliche Aufsicht für länderübergreifende Forschungsvorhaben im Gesundheitswesen wird durch eine/n Landesdatenschutzbeauftragte/n koordiniert.
  • Es wird ein Forschungsgeheimnis bei der Nutzung von Gesundheitsdaten eingeführt. Das bedeutet, dass Forschende Gesundheitsdaten, nur wie gesetzlich gestattet, nutzen und weitergeben dürfen und die Daten geheim zu halten haben. Bei Verletzung dieser Geheimhaltungspflichten gilt künftig eine Strafnorm.
  • Gesundheitseinrichtungen werden in ihrer Eigenforschung gestärkt.
  • Das Forschungsdatenzentrum Gesundheit (FDZ) beim BfArM wird weiterentwickelt. Für die Antragsberechtigung ist nicht mehr ausschlaggebend, wer beantragt, sondern wofür. Entscheidend sind die im Gemeinwohl liegenden Nutzungszwecke, die gesetzlich im GNDG festgelegt sind. Das FDZ kann pseudonymisierte Daten mit Daten gesetzlich geregelter medizinischer Register verknüpfen, wenn dies für den antragsgemäßen Forschungszweck erforderlich ist und die Interessen der Versicherten hinreichend gewahrt werden.
  • Für die Datenfreigabe aus der ePA gilt künftig ein Opt-Out-Verfahren. Damit können Behandlungsdaten für Forschungszwecke besser nutzbar gemacht werden. Es werden ausschließlich Daten übermittelt, die zuverlässig automatisiert pseudonymisiert wurden. Es wird eine einfache digitale Verwaltung der Widersprüche eingerichtet, damit Patientinnen und Patienten über die Freigabe ihrer Daten für die Forschung oder weitere Zwecke an das FDZ entscheiden können. Versicherte können ihren Widerspruch auch bei den Ombudsstellen der Krankenkassen erklären, wenn sie die ePA nicht nutzen oder ihren Widerspruch nicht digital erklären können oder möchten.
  • Kranken- und Pflegekassen dürfen auf Basis von Abrechnungsdaten personalisierte Hinweise an ihre Versicherten geben, wenn dies nachweislich dem individuellen Schutz der Gesundheit der Versicherten dient, zum Beispiel der Arzneimitteltherapiesicherheit oder der Erkennung von Krebserkrankungen oder seltenen Erkrankungen. Hierbei bestehen für die Kranken- und Pflegekassen besondere Transparenzpflichten. Zudem wurde eine Ordnungswidrigkeit im Falle des Verstoßes eingeführt.

BvDU-Position

Der BvDU begrüßt grundsätzlich eine zentrale Datenzugangs- und Koordinierungsstelle für die Nutzung von Gesundheitsdaten, wie auch eine zentrale Zuständigkeit für datenschutzrelevante Fragen. Auch bei diesem geplanten Gesetz wirkt die konkrete Ausgestaltung unausgegoren und, erneut, ohne, dass bei der möglichen Umsetzung praktisch tätige Ärztinnen und Ärzte einbezogen werden. Geklärt sein muss, wem für was und mit welchem Zweck erhobene Daten in der Folge zur Verfügung gestellt werden. Gerade vor dem Hintergrund des engen Datenschutzes, u. a. bei der ePA, muss berücksichtigt werden, dass z. B. Krankenkassen keinen Zugriff auf Daten haben, die zur Ablehnung der Versicherung von Patientinnen und Patienten führen könnten.

Aufgrund der Erfahrungen mit der Einführung unausgereifter und für Kliniken und Praxen kostspieliger Techniken im Rahmen der Digitalisierung muss weiter gewährleistet sein, dass ausschließlich technisch ausgereifte, kostenneutrale und intuitiv nutzbare Systeme in Nutzung geraten. Es darf nicht noch mehr Behandlungszeit von Patientinnen und Patienten abgehen für ein immer Mehr an Bürokratisierung.


Nationales Gesundheitsportal

Zielsetzung

Mit dem neu errichteten Nationalen Gesundheitsportal sollen Bürgerinnen und Bürger in Deutschland wissenschaftlich fundierte, neutrale und gut verständliche Informationen zu ausgewählten Gesundheitsthemen, Krankheitsbildern und Behandlungsmöglichkeiten erhalten. Sie sollen so in die Lage versetzt werden, gemeinsam mit ihrer Ärztin beziehungsweise ihrem Arzt informierte Entscheidungen treffen zu können. Das Ziel ist es, nachhaltig das Wissen um Gesundheit zu steigern und damit dazu beizutragen, die Gesundheitskompetenz zu erhöhen und die Patientensouveränität zu stärken.

Wichtigste Inhalte

Neben Informationen zu Krankheiten, Pflegeleistungen und Patientenrechten werden auf dem Portal unter anderem auch die digitalen Angebote des Gesundheitswesens, wie die ePA, DiGAs oder die Telemedizin erklärt. Das Gesundheitsportal unterstützt die Bürgerinnen und Bürger somit dabei, die Angebote richtig einzuordnen, individuelle Mehrwerte zu identifizieren und die mit der Digitalisierung verbundenen Innovationsschritte nachzuvollziehen und für sich zu nutzen.

BvDU-Position

Es ist zu begrüßen, dass die Gesundheit in den Fokus rückt. Durch eine gesunde Lebensweise kann jede und jeder Einzelne die Grundlage legen, möglichst lange fit bleiben zu können.

Auch die Früherkennung möglicher Erkrankungen und ein Erfolg einer Therapie kann dadurch unterstützt werden. Die Bundesregierung sollte im Rahmen einer Gesundheitserziehung Public Health ernst nehmen und alle Maßnahmen (unter anderem auch Klima- und Umweltschutz) ergreifen, um ein funktionables Public Health-Wesen zu etablieren. Das Wissen, wie dies aufgebaut werden könnte, ist seit Jahrzehnten vorhanden, wird aber nicht umgesetzt. Ein Gesundheits-Portal ist hier nur ein Regentropfen in der Wüste.


Quellen: Berufsverband der Deutschen Urologie (BvDU) e. V., Bundesministerium für Gesundheit (BMG). Ärztenachrichtendienst (änd), Tagesspiegel Politikmonitoring