Erhöhung des Orientierungswertes um 3,85 %: ein Schlag ins Gesicht der ambulant tätigen Fachärztinnen und Fachärzte Deutschlands

„Patientinnen und Patienten, stellt Euch auf bisher unvorstellbar lange Wartezeiten bei Fachärztinnen und Fachärzten ein. Die deutsche Politik macht sich ihr bislang funktionierendes Gesundheitssystem systematisch selbst kaputt.“

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der GKV-Spitzenverband haben sich am Montag auf eine Erhöhung des Orientierungswertes (OW) um 3,85 Prozent geeinigt.

„Die Einigung auf diese Erhöhung löst Wut aus bei allen niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten, die tagtäglich ihr Bestes leisten, um ihre Patientinnen und Patienten bestmöglich zu versorgen“, so BvDU-Präsident Dr. Axel Belusa. „Die wirtschaftliche Existenz der Praxen ist damit akut gefährdet“.

Aus Sicht des BvDU-Vorstands ist es eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, dass der für die Krankenhäuser relevante Veränderungswert seit dem Jahr 2013 um rund 43 % gestiegen ist, der für Praxen dagegen nur um etwa 20 %. Zudem werden die Pflegepersonalkosten zu 100 % von den Krankenkassen übernommen. Der Berufsverband der Deutschen Urologie fordert die Änderung der gesetzlichen Vorgaben für die Honorierung der Behandlung gesetzlich Versicherter, so dass der ärztliche Lohn auch bei Niedergelassenen berücksichtigt wird, wie auch die Erhöhung der GOÄ.

Bei den jährlichen Finanzierungsverhandlungen von KBV und GKV Spitzenverband geht es darum, wie viel Geld die gesetzlichen Krankenkassen im nächsten Jahr für die ambulante Versorgung bereitstellen. Im Mittelpunkt steht die Anpassung des Orientierungswertes (OW) an die gestiegenen Kosten und Investitionen der Praxen. Von der Höhe des Orientierungswertes hängt maßgeblich ab, wie die ärztlichen und psychotherapeutischen Untersuchungen und Behandlungen für gesetzlich krankenversicherte Patientinnen und Patienten vergütet werden. Anders als bei Tarifverhandlungen von Gewerkschaften und Arbeitgebern ist bei den Finanzierungsverhandlungen das Verfahren gesetzlich vorgegeben.

Fehlanreize und Fehlsteuerung führen auf direktem Weg in die Fehlversorgung: Die deutsche Politik macht sich ihr bislang funktionierendes Gesundheitssystem systematisch selbst kaputt.

In Anbetracht der Inflation bedeutet die Erhöhung des Orientierungswertes um 3,85 Prozent eine Nullrunde für die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen. Eine neue GOÄ ist ebenfalls nicht in Sicht, im Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) kommen die niedergelassenen Fachärztinnen und Fachärzte nicht vor. Darin zeigt sich, dass Kassen und Regierung niedergelassene Fachärzte nicht wollen und nicht brauchen. Ob die Gesellschaft das genauso sieht, wird sich zeigen: dann, wenn es die fachärztliche ambulante flächendeckende wohnortnahe Versorgung nicht mehr gibt.

Die Konsequenz ist klar. 25 Prozent der Fachärztinnen und Fachärzte sind über sechzig. Nach der Entscheidung gestern denken auch sie, wie junge Ärztinnen und Ärzte es bereits tun, über ihre Work-Life-Balance nach und rechnen sich durch, ob eine Frühverrentung nicht doch die bessere Alternative ist. Dazu ein gechillter Mini-Job –  endlich ein entspanntes Leben! „Vielleicht waren wir mit unserer Leistungsbereitschaft und dem damit verbundenen Anspruch auf Wohlstand auf dem Holzweg“, so Dr. Belusa.  „Das sollten wir uns kritisch hinterfragen. In Zukunft wird zugesperrt, wenn die reguläre Sprechstundenzeit vorbei ist und zuhause bei der Familie oder im Sport entspannt.“

Die demografische Welle, die auf Deutschland zurollt, wird dann auf noch weniger Schultern verteilt werden. Die angestellten Ärztinnen und Ärzte genießen wenigstens den Schutz eines Tarifvertrages, unterliegen dem Arbeitszeitgesetz und arbeiten auch vermehrt in Teilzeit. Sie machen es richtig – auf eine Anerkennung der Gesellschaft werden sie ohnehin nicht zählen können und froh sein, wenn sie im Dienst nicht verprügelt werden.

Wie die Verpflegung, so die Bewegung

Dem Vorstand des Berufsverbands fehlt die Phantasie, dass noch jemand kommt aus Politik oder den Gremien der Selbstverwaltung, der ambulant tätigen Ärztinnen und Ärzte angemessene Honorare bietet. Die eine Ärztin oder den anderen Arzt könnte man so vielleicht doch noch dazu bringen, eine dem Honorar entsprechende Leistung erbringen zu wollen.

Deutschlands Patientinnen und Patienten: stellt Euch auf bisher nicht vorstellbare Wartezeiten bei Fachärztinnen und Fachärzten ein und bedankt Euch bei der Politik. Obwohl Ärztinnen und Ärzte trotz Jahrzehnten mit Null – oder Minusrunden und zunehmend widrigen Umständen schier übermenschlich und mit gleichem Engagement weiter behandeln, belohnt dies die Politik, indem sie das bisher funktionierende deutsche Gesundheitswesen selbst systematisch kaputt macht.