„Eigentlich erschütternd, dass wir überhaupt so eine Kampagne fahren müssen“

Axel Schroeder

„So geht es nicht weiter“, sagt BvDU-Präsident Dr. Axel Schroeder. Sein Urologen-Verband macht mit bei der am Montag gestarteten Kampagne, mit der verschiedene Facharzt-Verbände unter dem Dach des SpiFa auf das Problem der hohen Hygienekosten in den Praxen aufmerksam machen wollen. Inwiefern das Thema seine Fachgruppe betrifft, darüber sprach der Ärztenachrichtendienst (änd) mit dem Urologen.

Herr Schroeder, wie ist die Situation in den Urologie-Praxen in Sachen Hygienekosten, worin liegt bei Ihrer Fachgruppe das Problem?

Das kann ich Ihnen am Beispiel der Blasenspiegelung erläutern. Das ist eine der gängigsten ambulanten Untersuchungen in einer urologischen Praxis. Eine Zystoskopie beim Mann kostet alles in allem 181,57 Euro. Die Krankenkassen erstatten den Praxen aber nur 82,07 Euro, und das auch erst seit 2020, davor waren es lediglich 47,31 Euro. Für die Blasenspiegelung der Frau gibt es noch weniger Geld, und zwar lediglich 31,26 Euro. Durchschnittlich führt eine urologische Praxis 5 bis 10 Zystoskopien am Tag durch. Und jetzt kann man sich ja ausrechnen, wie groß das Defizit pro Praxis am Ende des Jahres ist, nämlich circa 100.000 Euro im Jahr. 

Was sind die Hauptgründe für stark gestiegene Hygienekosten?

Da spielen viele Faktoren eine Rolle. Es fängt schon bei den baulichen Maßnahmen an. Für die Aufbereitung der endoskopischen Geräte und Medizin-Produkte muss eine Praxis heutzutage bestimmte Strukturen vorhalten. Die Hygiene-Standards dafür sind gesetzt und es ist für uns auch kein Problem, sie umzusetzen. Aber dafür muss man natürlich in die Praxis investieren – in die Räume, in Prozesse der Aufbereitung und Qualitätssicherung, in Personal, in Schulungen – das ist heutzutage alles viel aufwändiger als vor 30 Jahren, als man ein Endoskop einfach gereinigt und desinfiziert hat und das wars. 

War beziehungsweise ist auch die Corona-Pandemie ein Kostentreiber?

Nicht, was die Aufbereitung der Geräte betrifft. Durch die Corona-Pandemie haben die Praxen – sowohl Facharzt- als auch Hausarztpraxen – natürlich allgemein höhere Hygienekosten. Dafür gab es ja auch inzwischen entsprechende Hygienezuschläge für alle Fachgruppen. Aber mit dem Thema der Medizinprodukte-Aufbereitung in den Facharztpraxen hat das nichts zu tun, das ist damit nicht erledigt. Das Thema gab es schon vor der Pandemie. Und es ist den Krankenkassen durchaus bekannt. Wir erfüllen jetzt schon seit über zehn Jahren brav alle Hygiene-Auflagen und gehen damit in Vorleistung. Und die Kassen nehmen das als Selbstverständlichkeit hin und verfahren nach dem Motto: Das sitzen wir aus. Der ganze Zug ist ins Stocken geraten. Aber damit muss jetzt endlich Schluss sein. Wenn man solche Richtlinien der Qualitätssicherung definiert und deren Umsetzung fordert, dann muss irgendwann auch die Finanzierung dieser Leistungen folgen.

Es ist nun mal unsere ärztliche Verpflichtung, auch unter ethischen Gesichtspunkten, moderne und gute Medizin anzubieten. Patientensicherheit ist ein hohes Gut, von dem Infektionsschutz der Mitarbeiter ganz abgesehen. Und jetzt sind wir an einem Punkt angelangt, an dem wir den Patienten einfach mal die Hintergründe darlegen. Denn der Bürger denkt ja sonst, dass immer alles geregelt und ohne Probleme finanziert wird. Doch so geht es nicht weiter. 

Damit haben Sie nun schon zur sogenannten Hygiene-Kampagne übergeleitet, die der BvDU diese Woche gemeinsam mit anderen betroffenen Facharztverbänden gestartet hat. Was genau haben Sie vor?

Wir Fachärzte gehen dabei in mehreren Stufen vor. Grundsätzlich führen wir zunächst immer ein Gespräch mit den gesetzlich versicherten Patienten. Wir wollen sie über die Hintergründe der Hygienekosten aufklären und sie darum zu bitten, uns in ihrem eigenen Interesse zu unterstützen, sodass wir auch weiterhin eine qualifizierte Hygiene-Aufbereitung unserer Geräte vornehmen können. Die Gespräche mit den Patienten bilden also die Basis.

Ferner wird die eine oder andere Fachgruppe in den kommenden acht Wochen keine Termine mehr für bestimmte Routine-Untersuchungen vergeben, zumindest nicht mehr in dem Ausmaß, wie wir es bisher gemacht haben. Auch werden einige bestimmte Leistungen gar nicht mehr im üblichen Ausmaß erbringen. 

Ihr Verband hat im Rahmen der Kampagne bereits angekündigt, seinen Mitgliedern zu empfehlen, bestimmte Leistungen nicht mehr zu erbringen.

Richtig, wir Urologen werden jetzt vorübergehend in den kommenden acht Wochen Blasenspiegelungen nur noch eingeschränkt durchführen, das heißt, der BvDU wird seinen Mitgliedern empfehlen, so vorzugehen. Dringende Fälle und Notfälle werden natürlich weiterhin behandelt. Letztlich ist es selbstverständlich immer eine individuelle Entscheidung des einzelnen Arztes, wie er verfährt. Wir boykottieren nicht, wir streiken nicht – aber wir sagen deutlich: Wir können die Leistung nicht mehr im gewohnten Ausmaß erbringen. Dann fällt eine Routineuntersuchung, zum Beispiel im Rahmen einer Nachsorgeuntersuchung, in diesem Quartal einfach mal aus. 

Denken Sie, dass Ihre Patientinnen und Patienten dafür Verständnis haben?

Ganz wichtig dabei ist, dass wir die Patienten natürlich über die Hintergründe aufklären. Und das ist nicht damit getan, dass wir ihnen einen Zettel in die Hand drücken, sondern wir tun das – wie gesagt – im persönlichen Gespräch. Damit haben wir auch bei früheren Aktionen sehr gute Erfahrungen gemacht. Hilfreich ist dabei auch, dass zwischen einem Arzt und seinem Patienten in der Regel immer ein sehr vertrauensvolles Verhältnis besteht. Wir wollen den Patienten vermitteln, dass es uns nicht einfach nur darum geht, mehr Geld zu bekommen, sondern darum, auch weiterhin in ihrem Sinne eine qualifizierte Hygiene-Aufbereitung der Geräte betreiben und so eine wohnortnahe Behandlung in vertrauensvoller Umgebung auch in Zukunft gewährleisten zu können. 

Sie versprechen sich also von den Gesprächen, die Sie jetzt mit Ihren Patienten führen, dass diese dann auch Druck auf ihre Krankenkassen machen?

Ja, das versprechen wir uns davon. 

Denken Sie, dieses Kalkül geht tatsächlich auf?

Ja, das denke ich. Wir informieren die Patienten ja umfassend. Zunächst einmal durch Gespräche. Und dann werden die Patienten alle Infos noch einmal schriftlich mitbekommen. Wir halten auch Vorlagen bereit, mit denen sich die Patienten an die Krankenkassen wenden können. 

Sie haben eben schon den pandemiebedingten Hygienekosten-Zuschuss in Höhe von 98 Millionen Euro erwähnt, den der Erweiterte Bewertungsausschuss kürzlich beschlossen hat. Auch haben Sie bereits öffentlich geäußert, dass Sie diese Summe für absolut nicht ausreichend halten…

Richtig. Der Zuschlag ist ja für alle niedergelassenen Haus- und Fachärzte. Und wenn man das jetzt mal auf 102.000 Praxen umrechnet, bleibt da für jede Praxis im Schnitt 960 Euro im Jahr. Wenn man nur die zusätzlichen Hygienekosten betrachtet, die die Praxen durch die Corona-Pandemie hatten und haben, ist das okay. Zumal sich eine Verrechnung mit den Kosten der Digitalisierung hier verbietet. Grundsätzliche ist das Problem der nicht gedeckten Hygienekosten aber bei weitem nicht gelöst.

Wie viel mehr sollte es denn speziell für Ihre Fachgruppe geben, was würden Sie sich wünschen?

Ich habe ja eben schon vorgerechnet, dass wir niedergelassenen Urologen im Durchschnitt eine Unterdeckung von knapp 100 Euro pro zystoskopischer Untersuchung haben, je nach Patient. Und das ist nicht unerheblich und sollte deshalb ausgeglichen werden.


Dieser Beitrag erschien zuerst beim Ärztenachrichtendienst unter: https://www.aend.de/article/213744
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