In den Verhandlungen geht es um die jährliche Anpassung des Orientierungswertes (OW), der maßgeblich die Preise für ärztliche und psychotherapeutische Leistungen bestimmt. Außerdem werden die regionalen Veränderungsraten für die Morbidität und Demographie festgelegt. Die Krankenkassen bieten eine Anhebung um 1,6 Prozent an. Die KBV fordert eine Anhebung des Orientierungswertes um 5,7 %.
So laufen die Finanzierungsverhandlungen ab
Bei den jährlichen Finanzierungsverhandlungen von KBV und GKV-Spitzenverband geht es darum, wie viel Geld die Krankenkassen im nächsten Jahr für die ambulante Versorgung bereitstellen. Im Mittelpunkt steht die Anpassung des Orientierungswertes (OW) an die gestiegenen Kosten und Investitionen der Praxen. Von der Höhe des Orientierungswertes hängt maßgeblich ab, wie die ärztlichen und psychotherapeutischen Untersuchungen und Behandlungen für gesetzlich krankenversicherte Patientinnen und Patienten vergütet werden.
Enger gesetzlicher Rahmen
Anders als bei Tarifverhandlungen von Gewerkschaften und Arbeitgebern ist bei den Finanzierungsverhandlungen das Verfahren gesetzlich vorgegeben. Der Paragraf 87 Absatz 2g SGB V regelt, welche Faktoren für die Anpassung des Orientierungswertes zu berücksichtigen sind:
- die Entwicklung der für Arztpraxen relevanten Investitions- und Betriebskosten
- Möglichkeiten zur Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven
- die allgemeine Kostendegression bei Fallzahlsteigerungen
Entsprechend eng ist der Verhandlungsspielraum.
Bei der Anwendung dieser Anpassungsfaktoren wird jeweils die Kostenentwicklung der Vorjahre betrachtet. Für den Orientierungswert 2025 werden somit die Veränderungen der Kosten des Jahres 2023 gegenüber dem Jahr 2022 berücksichtigt. Neu ab diesem Jahr ist, das bei den Personalkosten aktuelle Daten herangezogen werden dürfen. So fließen die Tarifsteigerungen für Medizinische Fachangestellte für das Jahr 2024 in die Anpassung des Orientierungswertes für 2025 ein und nicht erst für 2026.
Verhandlungen im Bewertungsausschuss
Die Verhandlungen finden im Bewertungsausschuss statt, der paritätisch mit jeweils drei Vertretern der KBV und des GKV-Spitzenverbandes besetzt ist. Beide Seiten bringen vor Beginn der ersten Beratung einen Beschlussentwurf ein, über den dann verhandelt wird. Kommt eine Einigung ganz oder teilweise nicht zustande, schalten sie den Erweiterten Bewertungsausschuss ein. Dessen unparteiischer Vorsitzender vermittelt zwischen den beiden Parteien.
Entscheidung mit einfacher Mehrheit der Mitglieder
Im Unterschied zu einem Schlichter bei Tarifverhandlungen benötigt der unparteiische Vorsitzende für seinen Vorschlag immer die Zustimmung mindestens einer Partei. Die Festsetzung einer Vereinbarung durch den Erweiterten Bewertungsausschuss erfolgt mit der einfachen Mehrheit seiner Mitglieder. Das Gremium setzt sich aus den Mitgliedern des Bewertungsausschusses erweitert um einen unparteiischen Vorsitzenden und zwei weitere unparteiische Mitglieder zusammen.
Veränderungsraten der Morbidität und Demografie
Im Rahmen der Finanzierungsverhandlungen werden auch regionalen Veränderungsraten der Morbidität und Demografie festgelegt. Sie bilden neben dem Orientierungswert die Grundlage für die regionalen Vergütungsverhandlungen, die im Herbst beginnen. Die Kassenärztlichen Vereinigungen verhandeln dann mit den Krankenkassen vor Ort, wie viel Geld diese im neuen Jahr für die ambulante Versorgung ihrer Versicherten in der Region bereitstellen.
Anhebung des OW um 1,6 Prozent aus Sicht des BvDU absolut inakzeptabel
„Damit sei die wirtschaftliche Existenz der Praxen akut gefährdet“, warnen der BvDU und weitere Verbände. „Der Vorschlag löst Wut aus bei allen niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten, die tagtäglich ihr Bestes leisten, um ihre Patientinnen und Patienten bestmöglich zu behandeln“, so BvDU-Präsident Dr. Axel Belusa.
Der für die Krankenhäuser relevante Veränderungswert ist seit dem Jahr 2013 um rund 43 Prozent gestiegen, der für die Praxen dagegen nur um etwa 20 Prozent. Zudem werden die Pflegepersonalkosten zu 100 Prozent von den Krankenkassen übernommen. Eine „himmelschreiende Ungerechtigkeit, die beendet werden muss“, so der BvDU-Vorstand. Erstmals werden in diesem Jahr die Tarifsteigerungen der medizinischen Fachangestellten (MFA) direkt bei der Honorarfindung eingepreist. Darauf hatten sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der GKV-Spitzenverband im vergangenen im Bewertungsausschuss geeinigt. Bisher geschah dies immer mit zwei Jahren Verzögerung.
Personalkosten sind Haupt-Kostentreiber in den Praxen
KBV-Vorstand Gassen verweist in diesem Zusammenhang auch auf die Konkurrenzsituation mit den Krankenhäusern. Die Kliniken würden „die Preise verderben“. „Um überhaupt noch Personal zu bekommen, müssen die Praxen deutlich schneller, deutlich höhere Gehälter zahlen.“ Dies wurde genauso in die Honorarverhandlungen eingebracht, kündigte an. Dies bedeute aus Sicht Gassens aber nicht automatisch, dass eine Tarifsteigerung von aktuell gut sieben Prozent bei den MFA eine Honorarforderung in gleicher Höhe auslöse. Maßgeblich sei hier der Personalkostenanteil in den Praxen. Und dieser liege bei rund 45 Prozent, von denen die MFA-Gehälter wiederum etwa die Hälfte ausmachten. „Wenn wir diese Forderung jetzt also 1:1 durchbekämen, würde das eine Steigerung von 1,7 Prozent beim Orientierungswert (OW) auslösen – mehr nicht“, rechnet der KBV-Chef vor.
Etwas Hoffnung macht in diesem Jahr die Inflationsrate. Diese liegt zwar aktuell nur bei 2,2 Prozent. Relevant in den diesjährigen Verhandlungen sei aber die Situation vor zwei Jahren. Damals – kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs – hatte die Inflationsquote noch im zweistelligen Prozentbereich gelegen.
Seit Jahren schon streitet man sich mit den Kassen um die Kompensation der Personalkosten. „Wir sind der Meinung, die Entwicklung, die die Kolleginnen und Kollegen an den Krankenhäusern lohntechnisch mitmachen, müssen auch in den Praxen abgebildet werden.“ Wenn der Marburger Bund für die Klinikärzte also ein Gehaltsplus von fünf Prozent verhandele, müsse dies analog auch für die Vertragsärzte gelten. Die Kassen aber sträubten sich gegen das kalkulatorische Arztgehalt und verwiesen regelmäßig auf den EBM. Dies werde auch in diesem Jahr wieder ein Schwerpunkt der Verhandlungen sein, so Gassen. Man werde daher argumentieren, dass Steigerungen beim Arztgehalt „sehr wohl Einfluss auf den OW nehmen müssen“.
Bewertungsausschuss (BA) beschließt diagnose- und demografiebezogene Veränderungsraten
Während sich in Berlin die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der GKV-Spitzenverband um die Höhe des Orientierungspunktwertes (OPW) 2025 streiten, hat der Bewertungsausschuss (BA) die diagnose- und demografiebezogenen Veränderungsraten beschlossen, nach denen 2025 die morbiditätsbedingten Gesamtvergütungen (MGV) in den regionalen Kassenärztlichen Vereinigungen vereinbart werden (müssen).
Die KBV will für 2025 eine Anhebung der vertragsärztlichen Honorare um 5,7 Prozent erreichen. Selbst wenn das gelingen sollte, ändert sich aber nichts an der Einkommenssituation der meisten Vertragsärztinnen und -ärzte. Hinderungsgrund ist das von der KBV entwickelte Bewertungssystem für die vertragsärztlichen Leistungen im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM).
Das vertragsärztliche Honorar wird in Deutschland durch zwei grundlegende Vorgaben gesteuert: Die seit 2009 eingeführte morbiditätsbedingte Gesamtvergütung (MGV) und eine daraus resultierende Honorarverteilung, z.B. auf der Grundlage eines Regelleistungsvolumens (RLV) des einzelnen Arztes einerseits und das sogenannte Standardbewertungssystem (STABS) der KBV als Grundlage für die Bewertung der einzelnen EBM-Leistungen in Euro. Ziel war es, auf diese Art und Weise ein kalkulierbares Ärzteeinkommen zu erreichen. Übersehen hatte die KBV aber damals schon, dass die individuellen Honorarverteilungsregelungen nicht diesen Euro-Wert im EBM zur Grundlage haben, sondern eben jene gesetzlich vorgegebene m MGV. Die wiederum wird jedes Jahr neu berechnet, in Abhängigkeit davon, wie sich die Krankheit (Morbidität) oder die Alterung (Demografie) der Bevölkerung entwickelt.
Im STABS wird das EBM-Honorar in Euro aus einem Praxiskostenanteil (TL) und einem Arztlohn auf der Grundlage eines Oberarztgehaltes (AL) berechnet und durch eine Veränderung des OPW jährlich angepasst. Abgesehen davon, dass dieser Kalkulationsgrundlage von Anfang ein Denkfehler zugrunde lag, da insbesondere bei Personal- und Raumkosten regional erhebliche Unterschiede bestehen, bringt eine Anhebung des OPW nichts, wenn nicht in gleicher Weise auch die MGV steigt. Wie die gerade vom Bewertungsausschuss (BA) in der 732. Sitzung beschlossenen diagnose- und demografiebezogenen Veränderungsraten für das Jahr 2025 zeigen, fehlt für eine Anhebung der vertragsärztlichen Honorare dort schlicht und einfach die Substanz.
Im Bundesdurchschnitt wurde vom Institut des Bewertungsausschusses eine Demografierate von 0,01 Prozent und eine diagnosebezogene Veränderungsrate von 0,28 Prozent errechnet. In den einzelnen KVen sieht es deshalb schlimm aus. Dort steht überall eine Null vor dem Komma, in einigen KVen sogar ein Minus vor der Null.
Die Höhe des neuen OPW kann deshalb keine Auswirkungen auf das „Gehalt“ der Vertragsärztinnen und -ärzte haben, weil die MGV und die daraus resultierende Honorarverteilung einen Zuwachs weitestgehend wieder kassiert. Profitieren können allenfalls Fachgruppen, die viele extrabudgetär vergütete Leistungen erbringen oder deren Honorar entbudgetiert ausgezahlt wird.
Auskömmliche und sachgerechte Finanzierung der ambulanten Versorgung, um das flächendeckende wohnortnahe Netz ambulanter Praxen zu erhalten
Eine gute medizinische Versorgung gebe es nicht zum Nulltarif, so auch Dr. Dirk Heinrich, Vorstandsvorsitzender des Spitzenverbands Fachärztinnen und Fachärzte Deutschlands (SpiFA). Von den Krankenkassen, aber auch von den Vertreterinnen und Vertretern der Kassenärztlichen Bundesvereinigung erwarte er, dass sie „die Verhandlungen auf ein realistisches Niveau heben“. Heinrich: „Ansonsten ziehen sie den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten und der ambulanten Versorgung der Bevölkerung in Deutschland buchstäblich den Stecker.“
Den Verhandlungsführern muss klar sein, welcher Sektor welche Kosten verursacht und welcher Sektor der kostenschonendere für die Krankenkassen ist, so auch Dr. Axel Belusa, BvDU-Präsident. Die ambulante Versorgung muss auskömmlich und sachgerecht finanziert werden, damit das flächendeckende wohnortnahe Netz ambulanter Praxen erhalten bleibt und unnötige Klinikaufenthalte vermieden werden.
Entscheidung wird voraussichtlich vor dem Schiedsamt fallen
Zu rechnen ist auch in diesem Jahr wieder mit einer Entscheidung vor dem Schiedsamt. Der GKV-Spitzenverband wies bereits auf Paragraf 87 im SGB V hin, dass für die Anpassung des Orientierungswerts „die Entwicklung der für Arztpraxen relevanten Investitions- und Betriebskosten“ sowie „die allgemeine Kostendegression bei Fallzahlsteigerungen“ zu berücksichtigen sind. Vom kalkulatorischen Arztlohn dagegen ist in dem Gesetzestext nicht die Rede.
Angesichts der miserablen Rahmenbedingungen, in denen Ärztinnen und Ärzte arbeiten müssen, den Herausforderungen, mit denen sie tagtäglich umgehen müssen und der Sorge, wie Patientinnen und Patienten angesichts fehlender Ärztinnen und Ärzten und fehlendem medizinischen Fachpersonal auch in Zukunft flächendeckend behandelt werden können, muss in dieser Verhandlungsrunde der Orientierungswert deutlich angehoben werden.
Ebenso dringlich muss eine Änderung der gesetzlichen Vorgaben erfolgen. Der BvDU fordert, dass der ärztliche Lohn auch bei Niedergelassenen berücksichtigt wird.
Quellen: Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Ärztenachrichtendienst (änd), Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen e.V. (BVKJ)