Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) zum kassenärztlichen Notdienst verlangen Ärzteverbände Lösungen von der Politik. Nach dem Urteil gelten Poolärzte nicht mehr automatisch als selbstständig Tätige, das heißt, es fallen Sozialabgaben an. Die Folge: Vertragsärzte müssen sich jetzt selbst um eine Notdienst-Vertretung kümmern – und diese dann in ihrer Praxis anstellen. Der Bruttoverdienst für einen 12-stündigen Bereitschaftsdienst liege zwischen 500 und 800 €. Dies bedeute zusätzliche Kosten von bis zu 200 € pro Schicht.
Poolärzte sind freiwillig im Bereitschaftsdienst mitarbeitende Ärztinnen und Ärzte
Kassenärztliche Vereinigungen (KVen) haben die Aufgabe, die vertragsärztliche Versorgung der Versicherten in ihrem Zuständigkeitsbereich sicherzustellen. Die Sicherstellung umfasst auch die vertragsärztliche Versorgung zu den sprechstundenfreien Zeiten (so genannter „Notdienst“). Die Organisation des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes ist somit eine der zentralen Aufgaben der KVen. Die Krankenkassen sind an der Organisation des Bereitschaftsdienstes nicht beteiligt. Der Ärztliche Bereitschaftsdienst wird in den Regionen der einzelnen KVen in Deutschland unterschiedlich organisiert.
Aufgrund der demographischen Entwicklung sowie des akuten ärztlichen Nachwuchsmangels, insbesondere hinsichtlich der frei werdenden Arztsitze in ländlichen Räumen, hat sich die Dienstbelastung für die dienstverpflichteten Ärzte (Dienstgruppen) jedoch stark erhöht. Vertragsärztinnen und Vertragsärzte sind zum Bereitschaftsdienst verpflichtet und sollen sich dafür entsprechend regelmäßig weiterbilden. Sogenannte Poolärztinnen und Poolärzte können zusätzlich am Bereitschaftsdienst freiwillig teilnehmen. Hierbei handelt es sich beispielsweise um Ruheständler oder Klinikärzte, die dazu eine Vereinbarung mit der jeweils zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung (KV) schließen. Poolärzte sind somit freiwillig im Bereitschaftsdienst mitarbeitende Ärztinnen und Ärzte.
Nach Andreas Gassen, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) wird die Bereitschaft, diese Dienste zu machen, dramatisch sinken, „wenn die, die als Poolärzte Bereitschaftsdienst verrichten und damit ja auch die Praxen entlasten, jetzt sozialversicherungspflichtig werden.“ Laut MEDI-Vize Dr. Michael Eckstein könne man von einem Niedergelassenen, der tagsüber in seiner Praxis Patienten behandelt, nach einer Zwölf-Stunden-Schicht im Notdienst zudem grundsätzlich nicht verlangen, am nächsten Morgen wieder in seiner Praxis zu stehen.
KV und Ärztekammer sind überzeugt, dass Bereitschaftsdienst in seiner jetzigen Form ohne Poolärzte nicht mehr zu stemmen sei.
Einschneidende Auswirkungen auf die Versorgung
Die KV Baden-Württemberg hat als erste auf das Urteil des Bundessozialgerichts reagiert und die Notbremse gezogen: Sie trennte sich umgehend von den rund 3000 Poolärztinnen und -ärzten, die bislang rund 85 % der Notdienste für die Kassenärzte übernommen hatten. Acht Notfallpraxen wurden sofort vorübergehend ganz oder teilweise geschlossen, in nahezu allen Notfallpraxen wurden die Öffnungszeiten eingeschränkt. Etwa 40 % aller Dienste in den 115 Notfallpraxen und für die medizinisch erforderlichen dringenden Hausbesuche werden bisher von den Poolärzten geleistet. Ihr Wegfall kann nicht auf die Schnelle kompensiert werden, schon gar nicht in Zeiten unbesetzter Arztsitze.
In anderen Bundesländern, wie in Rheinland-Pfalz, erwächst die Sorge, dass es sich bei der Entscheidung um einen Präzedenzfall handeln könnte. Etwa ein Drittel aller im Ärztlichen Bereitschaftsdienst (ÄBD) arbeitenden Ärzte sind Poolärzte und leisten mehr als die Hälfte der anfallenden Dienste. Im Juni dieses Jahres hatte die KV Rheinland-Pfalz eine landesweite Umfrage durchgeführt, bei der fast 90 % von ihnen angegeben hatten, im Falle der Einführung einer Sozialversicherungspflicht nicht mehr für den ÄBD zur Verfügung zu stehen.
Eine mögliche Lösung wäre: Die KVen könnten alle Poolärzte anstellen, müssten aber ebenfalls Sozialabgaben abführen und auch Urlaubs- und Arbeitszeiten einhalten, da die angestellten Poolärzte dem Arbeitsschutzgesetz unterlägen. Dies würde für die KVen geschätzte Mehrkosten von bis zu 30 % bedeuten. Zudem müssten die KVen in diesem Fall weiteres Personal anstellen, um dies umzusetzen.
Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) prüfen aktuell, welche Folgen das Urteil für den ärztlichen Notdienst hat.
Quellen: Ärzteblatt, Ärztenachrichtendienst (änd)